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Weiß-blau mit Halbmond

Türkgücü München ist der erste Migrantenverein im deutschen Profifußball.

  • Maik Rosner, München
  • Lesedauer: 5 Min.

Viel los ist nicht auf der Bezirkssportanlage im Münchner Osten an diesem frühen Donnerstagabend. Ein paar Jugendkicker trainieren auf einem Rasenplatz, eine weitere Gruppe nutzt den Kunstrasen auf der anderen Seite. Dazwischen liegt ein kleines Gebäude mit den Umkleiden, gegenüber gibt es zwei Wasseranschlüsse, davor steht ein schmuckloser Plastikeimer mit Schuhputzbürsten darin. Ein Jogger dreht seine Runden auf der von Unkraut durchsetzten Schotterbahn um den Fußballplatz in der Mitte der weitläufigen Anlage am Ostpark. Nur das Rauschen vorbeifahrender Autos stört jene Feierabendidylle, die viele Amateurfußballer ganz ähnlich aus ihren Vereinen kennen. Tatsächlich aber ist hier ein Profiklub beheimatet, der Drittligist Türkgücü München. Gerade aufgestiegen aus der Regionalliga und damit der erste Migrantenverein im berufsmäßigen deutschen Kickergewerbe. Das beißt sich ein wenig mit der Schuhputzbürsten-Romantik.

Roman Plesche steigt die Treppe aus dem mit Holz verkleideten Container herab, der gleich neben den Wasserhähnen als Geschäftsstelle des Vereins fungiert. Plesche ist Türkgücüs Kaderplaner, nebenbei kümmert er sich auch um die Pressearbeit. Er führt in die Kabine, in der sich am 3. August erstmals die Mannschaft umziehen wird, um mit der Vorbereitung auf die dritte Liga zu beginnen. Auch hier sieht es nicht nach Profifußball aus. Weiße Lichtröhren an der Decke werfen ein fahles Licht. Es gibt kleine Schließfächer für Wertsachen und neben den Duschen eine Kammer mit Waschmaschinen. Auch der Trainingsplatz wirkt wie die Anlage eines Bezirksligisten. Dennoch wird hier der neue Coach Alexander Schmidt, früher Fußballlehrer beim TSV 1860 München in der zweiten Liga und bis März beim österreichischen Bundesligisten St. Pölten, in einer Woche zur ersten Einheit bitten.

Das Vereinslogo wurde 2019 angepasst. Neben dem türkischen Halbmond sind nun auch die weiß-blauen Rauten des Freistaats Bayern zu sehen. Das Emblem soll Ausdruck der Identität des in München verwurzelten Migrantenklubs sein, der 1975 gegründet wurde und für den in der Saison 2000/01 auch der spätere deutsche Nationalspieler Cacau auflief, heute Integrationsbeauftragter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Als Beispiel für gelungene Integration wollen sie den Verein Türkgücü München gern verstanden wissen. Sieben Deutsche mit türkischen Wurzeln stehen derzeit im Profikader, daneben Deutsche und Spieler aus Asien und vom Balkan. Ansprechen will der Verein vor allem türkischstämmige Fans. »Wenn wir auswärts spielen, zum Beispiel in Duisburg, Uerdingen oder Köln, wird das oft zu einem Heimspiel werden«, glaubt Plesche, »das gab es so noch nie, und das ist attraktiv für Sponsoren deutschlandweit.«

Die Trainingsanlage muss sich Türkgücü, was türkische Kraft bedeutet, mit zwei anderen Klubs und zwei Firmenmannschaften teilen. Schulsport findet hier auch noch statt. »Eigentlich sollte es ein Highlight für die Stadt München sein, den ersten Migrantenverein im deutschen Profifußball zu stellen«, sagt Plesche. Türkgücü aber vermisst Unterstützung für eine bessere Infrastruktur wie den Einbau einer Rasenheizung. Die Stadt sieht keine Notwendigkeit dafür. »Es verhärtet sich der Eindruck, dass es nur um den TSV 1860 und den FC Bayern geht, die über eine sehr starke Lobby verfügen und diese anscheinend auch wirkungsvoll einsetzen«, sagt Plesche und spricht von bisher ergebnislosen Bemühungen um andere städtische Flächen, auf denen Türkgücü gern in Eigenregie aktiv wäre. So muss Plesche feststellen: »Wir sind ein etwas anderer Verein.« Dabei zeigt er auf den Container, den sich die insgesamt sechs Angestellten und das Trainerteam teilen müssen. »Das ist vermutlich einmalig für einen deutschen Drittligisten.«

Nur die eingerahmten Trikots an der Wand erinnern hier an großen Fußball. Sie tragen noch das Logo des Ex-Sponsors AON, ein börsennotierter Versicherer, der einst auch auf den Trikots von Manchester United zu sehen war. Zur kommenden Saison soll nun ein anderer Sponsor Türkgücüs Trikots zieren, die Verhandlungen laufen noch.

Überhaupt soll sich vieles ändern bei dem Verein, der gerade zweimal in Serie aufgestiegen ist. Selbst die dritte Liga soll nur Zwischenstation sein. Präsident, Vorstand und Hauptgeldgeber Hasan Kivran hat die zweite Liga als Ziel bis 2023 ausgerufen und zudem den Aufstieg zur Nummer zwei im Großraum München hinter dem FC Bayern und noch vor 1860 und Unterhaching, derzeit ebenfalls in der dritten Liga. Früher hat Kivran als Amateur selbst für Türkgücü in der Bayernliga gespielt. 2016 stieg er als Mäzen ein. 2019 wurde eine GmbH für den Profispielbetrieb ausgegliedert - mit Kivrans Beraterfirma als 99-prozentigem Gesellschafter. Er und sein Bruder Kenan als Geschäftsstellenleiter halten alle Fäden in der Hand. Medial schotten sie sich jedoch ab. Das macht das vielleicht spannendste Projekt im deutschen Fußball undurchsichtig. Konkurrenten beäugen es kritisch. Besonders beim TSV 1860 ist man nicht begeistert. Zuletzt warb Türkgücü Abwehrspieler Aaron Berzel vom Nachbarn ab.

Vieles an diesem Projekt wirkt provisorisch, weil die Infrastruktur mit dem rasanten sportlichen Aufschwung nicht mithält. Seine Heimspiele wird Türkgücü teils im Olympiastadion austragen und teils im Stadion an der Grünwalder Straße, wo auch die Ligakonkurrenten TSV 1860 und FC Bayern II spielen. Als Ausweichstätten wurden auch Stadien in Burghausen und Würzburg gemeldet. Wegen der Stadionproblematik dachte Türkgücü zwischendurch sogar an einen Umzug nach Nordrhein-Westfalen, doch der DFB lehnte ab.

Insgeheim hofft der Verein, schon früher als 2023 in der zweiten Liga anzukommen. Spätestens dann aber sollte mal ein neuer Trainingsplatz her.

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