Große Ernüchterung: Die Marihuana-Industrie in den USA kriselt

2019 haben die sechs größten Marihuana-Konzerne in den USA über 25 Milliarden Dollar verloren

  • Hannes Breustedt
  • Lesedauer: 4 Min.

New York. Börsensturz, Geldnot, eine Pleitewelle droht: In Nordamerikas Cannabis-Industrie macht sich nach dem Rausch der vergangenen Jahre Katerstimmung breit. Trotz des Booms im Zuge der Legalisierung in Kanada und etlichen US-Bundesstaaten wurden die hohen Erwartungen vieler Unternehmer und Anleger bislang nicht erfüllt. Inzwischen deutet sogar einiges auf eine Investitionsblase hin. Ist die Luft schon wieder raus aus dem Trendthema?

Die Hoffnungen waren enorm - dafür gab es auch gute Gründe. Im Jahr 2018 ließen zuerst der bevölkerungsreichste US-Bundesstaat Kalifornien und dann Kanada Marihuana als Genussmittel zu. Damit öffneten sich die bislang weltweit größten Märkte für legalen Anbau und Handel der Droge, was einen Ansturm von Investoren auslöste. Die Aussicht auf hohe Renditen lockte Milliarden an Anlegergeld an.

Diverse Promis rührten die Werbetrommel für Cannabis-Firmen - von American-Football-Legende Joe Montana und Hollywood-Schauspielern wie Whoopi Goldberg oder Woody Harrelson über Ex-Boxchampion Mike Tyson bis hin zu Rapper Snoop Dogg sowie Erben von Reggae-Ikone Bob Marley und Silicon-Valley-Starinvestor Peter Thiel. Doch das vergangene Jahr brachte die Branche mit Wucht auf den Boden der Realität zurück.

Der Marihuana-Aktienindex WEED, der die Wertentwicklung börsennotierter Cannabis-Unternehmen misst, brach 2019 um fast die Hälfte ein. Seit April liegt er sogar mit deutlich mehr als 60 Prozent im Minus. Rund 25 Milliarden Dollar haben die größten sechs Konzerne seitdem an Börsenwert eingebüßt. »Dies ist das 2008 der Cannabis-Industrie«, meint Kevin Murphy, der Chef des Branchenriesen Acreage Holdings - ein Vergleich mit dem Horrorjahr der Finanzkrise.

Nach Bundesgesetz immer noch verboten

Was sind die Gründe für den Absturz? In den USA ist Marihuana zwar mittlerweile in 33 Bundesstaaten zu medizinischen Zwecken oder ganz erlaubt, doch unter dem Bundesgesetz nach wie vor verboten. Solange sich dies nicht ändert, stehen Cannabis-Firmen vor Problemen. Banken, Versicherer und Finanzdienstleister machen einen Bogen um die Branche - Kredite und sogar Konten sind häufig schwierig zu bekommen. In Krisenzeiten kommt noch ein weiterer großer Nachteil hinzu.

Denn wegen des Verbots unter dem Bundesgesetz können die Unternehmen auch keinen Gläubigerschutz unter dem Insolvenzrecht beantragen. Und die Situation scheint bereits prekär. Laut Finanzdienst Bloomberg erhalten nur noch die stärksten Firmen frische Mittel an den Kapitalmärkten. Einem Dutzend kleinerer Unternehmen drohe 2020 die Pleite, zitiert Bloomberg einen anonymen Manager aus der Branche. Einigen Firmen könne schon in den nächsten Wochen das Geld ausgehen.

Selbst einige große Unternehmen sind in Nöten. So kündigte das kalifornische Schwergewicht MedMen Enterprises jüngst einen radikalen Personalabbau sowie Verkäufe von Geschäftsteilen an und sah sich trotz ungünstiger Konditionen zu einer Kapitalerhöhung gezwungen. Im US-Nachbarland Kanada ist die Lage zwar anders, aber ebenfalls kritisch. Marihuana ist hier bundesweit erlaubt, dennoch tun sich viele Firmen schwer. Die ersten Insolvenzen haben bereits begonnen.

In Kanada blieb der erhoffte Andrang auf legales Marihuana bislang schlichtweg aus. Umfrageergebnisse der Regierung zeigen, dass im dritten Quartal lediglich 28 Prozent der Konsumenten Marihuana auf legalen Wegen besorgten. Der Großteil setzt offenbar - wie übrigens auch in Kalifornien - weiter auf den Schwarzmarkt, wo die Preise günstiger sind. Der legale Handel kommt nur schwer in Gang, bisher entstanden deutlich weniger Cannabis-Läden in Kanada als erwartet.

Zweite Legalisierungswelle in Kanada

Die junge Branche hofft, dass sich dies bald ändert. Für Zuversicht in Kanada sorgt immerhin, dass eine zweite Legalisierungswelle gerade erst anrollt. Denn bislang ging es nur um den klassischen »Gras«-Verkauf, doch einen großen Teil des Geschäfts mit Marihuana machen inzwischen »Edibles« aus. Der Überbegriff umfasst diverse Artikel rund um die Droge - von Drinks, Ölen und Keksen über Pillen und Salben bis hin zu Beruhigungsmitteln oder Appetitanregern.

Diese Produkte wurden erst in einem zweiten Schritt erlaubt und sind nun der große Hoffnungsbringer der gebeutelten Industrie. Die Wirtschaftsberatung Deloitte rechnet damit, dass dieser »Cannabis 2.0«-Trend das Marktpotenzial erst richtig entfaltet. Kanada werde deshalb treibende Kraft eines Wachstumsschubs bleiben, der das weltweite Volumen des Cannabis-Marktes bis 2025 von aktuell 100 Milliarden auf 194 Milliarden US-Dollar ansteigen lassen dürfte.

Auch in den USA gibt es durchaus Optimisten. Analystin Vivien Azer vom Investmenthaus Cowen & Co etwa sieht die drohende Insolvenzwelle als eine Art Gesundschrumpfen, das der Industrie letztlich helfen werde. Der Markt müsse »aufgeräumt« werden. Zumindest scheint das zeitweise gefürchtete Szenario eines strikten Durchgreifens der US-Bundesregierung gegen Cannabis immer unwahrscheinlicher. Mit dem Abgang von Donald Trumps erstem Justizminister Jeff Sessions (»Gute Menschen rauchen kein Marihuana«) ist ein großes Risiko verschwunden.

Und die Zustimmung der Menschen zur Legalisierung war nie höher, so dass die Regierung Trump sich mit einer harten Linie gegen Cannabis wohl keinen Gefallen täte. Einer CBS-Umfrage zufolge sprachen sich 2019 rund 65 Prozent der Erwachsenen in den USA für legales Marihuana aus - ein Höchstwert. Erstmals befürwortet das demnach auch eine 56-prozentige Mehrheit der republikanischen Wähler. Hinweise auf eine bundesweite Legalisierung gibt es bislang allerdings nicht, auch wenn sich Präsident Trump vor vielen Jahren mal dafür ausgesprochen hat. dpa/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal