Ruck-zuck steht die Regierung

Kompromissbereitschaft in Niedersachsen – ein Lehrstück für Berlin?

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Eher eine Vernunftehe als eine Liebesheirat ist es, welche die beiden Parteichefs Stephan Weil (SPD) und Bernd Althusmann (CDU) besiegelten, als sie am Dienstag nach nur zwei Wochen intensiver Koalitionsgespräche ihren 138-seitigen Bündnisvertrag unterschrieben. Zu oft, zu heftig waren beide Seiten in der vergangenen Legislaturperiode aneinander geraten, als dass man von plötzlich erwachter inniger Zweisamkeit sprechen könnte.

Doch das Scheitern von Jamaika und Ampel ließ keine andere Wahl als die Große Koalition, um stabil regieren zu können. Und so raufte man sich zusammen. Als letzten formalen Akt dieses Geschehens erlebten Abgeordnete und Gäste am Mittwoch die Wahl des Ministerpräsidenten in Hannover.

Der bleibt Stephan Weil. Von den 137 Parlamentariern – 105 hat die Groko zusammen – votierten in geheimer Abstimmung 104 für den 59-jährigen Juristen. Eine oder ein Abgeordneter enthielt sich der Stimme, vielleicht war es Weil selbst. Er berief sodann die Mitglieder seiner Regierung ins Kabinett, jeweils fünf von SPD und CDU, sechs Minister und vier Ministerinnen.

Von all den politischen Zielen, die ihnen der Koalitionsvertrag vorgibt, dürfte die meiste Popularität jener Passus genießen, der besagt: Von 2018 an ist der Kindergartenbesuch in Niedersachsen kostenlos. Die vollständige Beitragsfreiheit sei ein wichtiger Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, unterstreichen die Bündnispartner.

In punkto Sicherheit haben sie Ziele, denen anzumerken ist: Die Grünen sind nicht mehr Teil der Regierung. Sie hätten es wohl kaum akzeptiert, dass die Vermummung bei Demonstrationen künftig wieder eine Straftat ist. Erst im April dieses Jahres war solche Maskierung von der damals rot-grünen Mehrheit zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft worden, und Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte das noch im Juli im NDR als sinnvoll kommentiert: Die Sicherheit bei Demos werde durch die neue Regelung eher erhöht, weil die Polizei nicht gezwungen sei, »bei jedem Auftreten gleich einzuschreiten«. Nun die Wende zurück, offensichtlich der CDU zu Gefallen, die stets betont hatte: Vermummung muss strafbar sein.

Gemeinsam hat Rot-Schwarz ein Sicherheitspaket geschnürt, das auch »die Onlinedurchsuchung gesetzlich regeln« will – im Klartext: das umstrittene Computer-Hacken durch die Polizei. Ihre Einsätze bei Fußballspielen in Niedersachsen, so bekräftigt die Koalition weiter, sollen den Vereinen auch künftig nicht in Rechnung gestellt werden. Etwas anderes wäre von einer Groko unter dem bekennenden Hannover-96-Fan Stephan Weil auch nicht zu erwarten gewesen.

Zu erwarten ist eventuell eine gesetzliche Regelung, die ein Beschränken öffentlichen Alkoholgenusses ermöglicht. Die Groko will prüfen, ob »ein Trinkverbot auf Plätzen« nötig ist. Ebenfalls prüfen möchte sie, ob die digitale Gesichtserkennung bei der Videoüberwachung sogenannter Kriminalitätsschwerpunkte »ein denkbares Mittel für Niedersachsen ist«. Dazu wolle die Koalition die Ergebnisse des Modellversuchs in Berlin bewerten.

Positiv bewerten werden Atomkraftgegner vielleicht die Aussage der Groko, sie bekenne sich zwar »zu einem ergebnisoffenen, wissenschaftsbasierten und transparenten Endlagersuchverfahren«, aber: »Versuchen aus anderen Bundesländern, mit Verweis auf die am Standort Gorleben bereits vorgenommenen Investitionen eine Vorfestlegung auf den niedersächsischen Standort zu formulieren, erteilen wir eine klare Absage.« Dazu gehöre auch der Verzicht auf jegliche Castor-Transporte nach Gorleben.

Nach der Landtagssitzung begegnete man im Foyer des neuen Plenarsaals einem entspannt, ja froh wirkenden Ministerpräsidenten Weil und seinem nicht minder gut gelaunten Stellvertreter, dem neuen Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU). Zwei Männern, die es der Bundespolitik vorexerziert haben, wie sich Kompromisse finden lassen.

Schon bei der Unterzeichnung des gemeinsamen Vertrages hatte Weil den Journalisten zugerufen: »Wir bilden eine Regierung – das ist an sich schon eine Nachricht«, und da klang schon ein bisschen Stolz mit, womöglich auch ein Quäntchen Häme in Richtung Berlin. Und Bernd Althusmann ergänzte: »Wir haben heute gezeigt, dass es geht.«

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